Mittwoch, 22. März 2006

»die große medienerzählung vom aussterben der deutschen«

endlich - nach zwei wochen debattorischen spektakels um geburtenrückgang, überfremdungsängste und rentenbonus für volksvermehrer (als, überspitzt formuliert, moderne variante des mutterkreuzes) -, endlich, endlich meldet sich die konstruktive stimme der vernunft! ironischerweise gehört sie einem feuilletonisten namens Nutt (»sic!«, möchte man ausrufen) und spricht zu uns heute in der Frankfurter Rundschau wie folgt:
»Die große Medienerzählung vom Aussterben der Deutschen bedarf dringend eines Bewusstseins davon, dass Migration ein irreversibler Vorgang ist. Getreu des ersten soziologischen Hauptsatzes, dem zufolge soziale Systeme nicht sterben können, bedeutet der Rückgang der Geburtenrate keineswegs den Tod einer Gesellschaft. Der demographische Wandel birgt soziale Konflikte, deren Konturen sich erst schwach abzuzeichnen beginnen. [...] Je schneller man sich jedoch von nationalen Reinheitsgeboten zu verabschieden bereit ist, desto besser wird man den potenziell eher schwachen politischen Gestaltungsaufgaben gerecht werden können. Die Geburt eines Kindes bedarf einer Atmosphäre der Ankunftserwartung. Die gegenwärtige Diskussion erweckt jedoch den Anschein, sich in einem Taumel der Zukunftsangst zu befinden.«
überhaupt: kann mir bitte mal jemand erklären, woher plötzlich diese verschärfte debatte über die deutsche geburtenrate kommt? ich meine: halloo? das problem kennen wir doch schon seit mindestens 20 jahren! und genauso lang wissen oder zumindest ahnen wir doch, dass unsere renten nicht sicher sind, nämlich spätestens seit dem moment, als damals im bundestag der »klamaz« im brustton der überzeugung äußerte: »die renten sind sicher!« und jetzt diskutiert ihr allen ernstes darüber, wie man es kinderlosen und wohlgemerkt blutsdeutschen paaren schmackhaft machen könnte, nachwuchs in die welt zu setzen?

bemerkenswert ist darüber hinaus, dass man nicht etwa über ein bonus-system für eltern nachdenkt, sondern im gegenteil über ein malus-system für kinderlose, sprich: nicht wer kinder ins land setzt, soll belohnt, sondern wer (sozusagen freiwillig) kinderlos bleibt, soll durch rentenkürzung abgestraft werden.

damit wir uns recht verstehen: ich beglückwünsche jeden, der sich trotz aller zweifel angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen oder auch persönlichen lage dazu entschließt, eine familie zu gründen, umso mehr, wenn sie und/oder er der verantwortung, die damit verbunden ist, auch gerecht wird. auch dass beispielsweise durch steuervergünstigungen ein zusätzlicher anreiz geschaffen wird. aber es kann nicht angehen, dass der staat, dessen ureigene aufgabe es ist (das muss man sich doch mal wieder ins bewusstsein rufen), der bevölkerung zu dienen und sie zu beschützen, zu methoden greift, die dem gleichheitsgrundsatz, auf dem unser gemeinwesen unter anderem basiert, zuwider laufen, indem sie eine bestimmte bevölkerungsgruppe, die sozusagen »selbstverschuldet kinderlosen«, diskriminieren!

es ist - pardon - zum kotzen, auf welchem niveau sich die diskussionen in diesem lande mitunter bewegen! ebenso wie das hier:

»100 gute (= ca. 90 dämliche) gründe, ein kind zu zeugen...«

aber ernsthaft: hätten wir von denen etwas anderes erwartet?

addendum (23.03.06): »Kinderschwund - na und?« äußerst lesenswerter artikel von Josef Joffe in der »Zeit«!

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