»In Baden-Württemberg lebt der längst totgeglaubte Radikalenerlass wieder auf: Das Stuttgarter Kultusministerium lehnt die Einstellung eines Lehramtsbewerbers ab, der als zu links gilt.«
so titelte der
Uni-SPIEGEL am 18. Oktober und berichtete von dem fall des lehramtsanwärters Michael Csaszkóczy, der in baden-württemberg trotz mit bravour bestandenem zweiten staatsexamen nicht in den schuldienst übernommen werden soll - »wegen Zweifel an seiner Verfassungstreue«.
»Fast vergessen schien der Radikalenerlass aus der Ära des SPD-Kanzlers Willy Brandt. Auf dieser umstrittenen Rechtsgrundlage sollten einst Extremisten aus dem Öffentlichen Dienst fern gehalten oder herausgedrückt werden; der Erlass traf zumeist Mitglieder der moskautreuen DKP.
Mit dem Kommunismus dieser Schule konnte Csaszkóczy nie viel anfangen; er wird von Verfassungsschützern den so genannten Autonomen zugerechnet. Kein Zweifel: Er ist ein radikaler Linker. Aber ist er zu links für den Staatsdienst?
Begegnungen mit älteren Heidelbergern, die dem Widerstand gegen Hitler angehört hatten, prägten Csaszkóczy noch in seiner Schulzeit. Als Ende der achtziger Jahre landauf, landab Neonazis auf Straßen grölten und rechtsradikale "Republikaner" in die Landesparlamente einzogen, "war für mich klar, wo ich stehe", sagt der Pädagoge.
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Seine politische Heimat fand Csaszkóczy bei der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD), einem ziemlich bedeutungslosen Grüppchen von ein paar Dutzend Aktiven, das der Verfassungsschutz als linksextremistisch einstuft.«
in der tat scheint Csaszkóczy niemals durch gewalttätigkeit aufgefallen zu sein. sein name wird allenfalls in ein paar linksextremistischen postillen erwähnt. dies und seine bloße teilnahme an diversen demonstrationen waren für den verfassungsschutz offenbar ausreichend, eine akte anzulegen und nun prompt weiter zu lancieren, als es um seine einstellung in den schuldienst ging. »Wie ein Sammelsurium von Banalitäten liest sich das Papier«, so der SPIEGEL weiter, »eher kläglich wirkt der Versuch, einen Staatsfeind zu kreieren.«
»Es sind vor allem zwei Sätze in einer Art Grundsatzpapier der Heidelberger Antifaschisten, die Csaszkóczy letztlich zum Verhängnis wurden: "Militanz, die sich durch angemessene Zielgerichtetheit, permanente Selbstreflexion, konsequente Abwägung und hohes Verantwortungsbewusstsein der Agierenden auszeichnet, betrachten wir als legitimes Mittel im Kampf um Befreiung", heißt es da. Und: An "den herrschenden Unterdrückungsverhältnissen" werde sich auf parlamentarischem Weg "nichts Grundlegendes ändern".
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Der Pädagoge räumt ein, dass die revolutionär anmutende Rhetorik "problematisch" ist. In einer anderthalbseitigen schriftlichen Erklärung für die Kommission hatte Csaszkóczy daher versichert, "Gewalt gegen Menschen oder Sachen" abzulehnen.
Die Heidelberger AIHD verstehe ihre Arbeit zudem als "parteiunabhängig", richte sich aber nicht gegen Parteien und Parlamente überhaupt. "Pauschal distanzieren wollte ich mich von unserer Plattform dennoch nicht", sagt er. "Wie kann man prinzipiell gegen Gewalt sein, wenn man die Gewalt der Widerständler gegen Hitler für moralisch geboten hält und feiert?"«
dass der oben zitierte satz über »militanz im kampf um befreiung« mindestens einen widerspruch in sich enthält, die bundesrepublik kein verbrecherisches system darstellt, den autonomen somit die rechtfertigung zum militanten widerstand fehlt und daher nicht nur die »rhetorik«, sondern auch das dahinterstehende weltbild des kandidaten etwas verschroben erscheint, gibt freilich anlass zur diskussion. schließlich heißt es in einer maßgeblichen
verwaltungsvorschrift (PDF, 122 kb) des innenministeriums zur durchführung des landesbeamtengesetzes (LBG):
»Die politische Treuepflicht gebietet, den Staat und seine geltende Verfassungsordnung zu bejahen und dies nicht bloß verbal, sondern insbesondere in der beruflichen Tätigkeit dadurch, dass der Beamte die bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften beachtet und erfüllt und sein Amt aus dem Geist dieser Vorschriften heraus führt. Die politische Treuepflicht fordert mehr als nur eine formal korrekte, im Übrigen aber uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung. Sie fordert vom Beamten insbesondere, dass er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Vom Beamten wird erwartet, dass er diesen Staat und seine Verfassung als einen hohen positiven Wert erkennt und anerkennt, für den einzutreten sich lohnt (BVerfGE 39, 334).«
die regeln sind also klar und - bitteschön! - auch verständlich dargelegt. und solange lehrer beamtenstatus haben, also per definitionem »diener des staates« sind, stellt sich meines bescheidenen erachtens nach die frage, »ob so einer lehrer werden darf«, gar nicht erst bzw. beantwortet sich von selbst:
nein, natürlich nicht!
die frage, die zu diskutieren wäre, ist höchstens die: müssen oder sollten lehrer unbedingt beamte sein?
mehr hintergrundinfos zum fall Csaszkóczy wie auch zu berufsverboten im allgemeinen gibt es übrigens
hier und
hier.
p.s.: ganz anders, liebe SPIEGEL-leser, liegt hingegen der fall des (parteilosen)
braunschweiger ex-waldorflehrers, der nach acht jahren den schuldienst quittiert hat, um künftig für die NPD zu arbeiten. ja, das entsetzen ist groß, denn:
»Von seiner rechten Gesinnung ahnte laut [schulleiter] Kropp niemand etwas an der Schule [...]. "Diese politische Einstellung und das Konzept der Waldorfschule passen nicht zusammen", sagte Kropp. Auch wenn es nie Beschwerden gegeben habe, so habe Molau jedoch genau gewusst, dass er damit die Toleranzschwelle überschreite.«
ein skandal? naja, mit etwas mühe (die sich der SPIEGEL in seinem artikel auch redlich gibt) vielleicht. ein verstoß gegen geltendes dienstrecht? wohl kaum.
abundant - 8. Nov, 09:03